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Epilepsie - was ist das eigentlich? Epilepsie - was ist das eigentlich?

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Epilepsie - was ist das eigentlich?

Einleitung
Kaum eine andere Krankheit lässt sich in der Medizingeschichte so weit zurückverfolgen wie die Epilepsie; zahlreiche Hinweise aus früh-historischer Zeit deuten darauf hin, dass diese Krankheit den Menschen seit seinen Anfängen begleitet hat. Damals wie heute muss sie als eine der häufigsten chronischen Erkrankungen überhaupt gelten: 0,5 bis 1% aller Menschen leiden an ihr. Dies bedeutet, dass beispielsweise in Deutschland rund 400.000 bis 800.000 epilepsiekranke Menschen leben!

Entstehung der Epilepsie Wie lässt sich "Epilepsie" definieren? Von Epilepsie spricht man dann, wenn bei einem Menschen immer wieder epileptische Anfälle auftreten. Ein epileptischer Anfall wiederum ist eine von vielen pathologischen Reaktionsformen des Gehirns; er ist eine "Antwort" (Reaktion) des Gehirns auf einen störenden, irritierenden oder schädigenden Reiz. Diese Reiz-Antwort geht dabei mit abnormen (elektro-chemischen) Erregungsvorgängen der Nervenzellen im Gehirn einher. Dabei besteht das Wesentliche dieses pathologischen Ablaufs darin, dass plötzlich eine unnatürlich große Zahl von Nervenzellen gleichzeitig erregt wird, d.h. dass sich die elektrische Spannung zwischen der Außenseite der Zellwand und dem Zellinnern (Membranpotential) abrupt entlädt - es kommt zu einer Art "Gewitter im Gehirn", gewissermaßen zum "Durchbrennen einer Sicherung".

Ein einzelner epileptischer Anfall bedeutet noch keine Epilepsie; erst wenn bei einem Menschen immer wieder spontan (d.h. ohne unmittelbare Auslösung) epileptische Anfälle auftreten, muss bei ihm die Diagnose "Epilepsie" gestellt werden. Dies bedeutet, dass es sich bei einer Epilepsie immer um eine chronische, also um eine länger dauernde Krankheit handelt (die aber keineswegs ein ganzes Leben andauern muss!).

Der Begriff "Epilepsie" leitet sich von einem griechischen Wort ("epilambanein") ab, das soviel wie "packen, anfallen" bedeutet. Epilepsie heißt also "Anfall" oder besser: "Anfallkrankheit". Da es aber sehr unterschiedliche Anfallkrankheiten gibt, spricht man besser von den Epilepsien.

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Epileptische Anfälle
Epileptische Anfälle können sehr unterschiedlich aussehen. Es gibt kaum eine Funktion des Gehirns, die nicht auch in Form eines epileptischen Anfalls auftreten kann - so können sich epileptische Anfälle in sehr verschiedener Weise äußern: in Bewegungen (z.B. Zuckungen, Zittern, Versteifung der Muskulatur), in Empfindungsstörungen (z.B. Kribbeln, taubes Gefühl, Hör- oder Seheindruck), in sog. vegetativen Zeichen (z.B. Gesichtsrötung, Blauverfärbung der Lippen, Speichelfluss, Darmgeräusche, Einnässen) oder in psychischen Veränderungen (z.B. Angst, plötzliche Gedächtnisstörungen, Bewusstseinsverlust).

Häufig kommen diese Erscheinungen kombiniert vor - beispielsweise Versteifung, Zuckungen, Speichelfluss, Einnässen und Bewusstlosigkeit als Zeichen eines "großen Anfalls", eines "grand mal" ("großes Übel"). Früher hat man solchen "großen" Anfällen "kleine Anfälle" gegenübergestellt, die sich z.B. in kurzen (d.h. Sekunden dauernden) Bewusstseinstrübungen (Absencen), in Einzelzuckungen (Myoklonien) oder in sog. Dämmerattacken äußern; die letztgenannten Anfälle, auch psycho-motorische oder partial-komplexe Anfälle genannt, sind durch eine 30 Sekunden bis etwa 2 Minuten dauernde Umdämmerung gekennzeichnet, während der die Patienten verwirrt sind, unangepasste Handlungen durchführen (z.B. Kaubewegungen, Nesteln mit den Händen, Weglaufen) und eventuell verständliche, aber sinnlose Wörter oder auch unverständliche Laute von sich geben. Eine Sonderform "kleiner" Anfälle stellen die Blitz-Nick-Salaam-(BNS-)Anfälle dar, die fast ausschließlich im Säuglingsalter auftreten und auf eine in aller Regel sehr schwer verlaufende Epilepsie hinweisen. (Der Name 'BNS' rührt von der Erscheinungsform der Anfälle her, die sich als plötzliche Zuckung, als Nickbewegung oder als langsame Beugung nach vorne [wie beim orientalischen Gruß] äußern.)

Heute wird in der medizinischen Fachsprache meist nicht mehr von "großen" und "kleinen", sondern von "generalisierten" und "herdförmigen" (fokalen) Anfällen gesprochen.

generalisierter Anfall Dabei bedeutet generalisierter Anfall, dass das Anfallgeschehen von Beginn des Anfalls an beide Körperseiten betrifft bzw. (vom Ursprungsort her gesehen) beide Gehirnhälften gleichzeitig vom Krampfgeschehen ergriffen werden. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der gesamte Körper vom Anfall befallen wird - wichtig ist in erster Linie die Gleichseitigkeit von Beginn des Anfalls an.
Zu den generalisierten Anfällen können die bereits genannten Grand-mal-Anfälle, Absencen und BNS-Anfälle gerechnet werden.

fokaler Anfall Im Gegensatz hierzu spricht man von herdförmigen oder fokalen Anfällen dann, wenn zu Beginn des Anfalls nur eine Körperseite oder nur ein umschriebener Körperteil einseitig vom Anfallgeschehen erfasst ist. (Dies bedeutet natürlich, dass auch im Gehirn nur ein umschriebener Teil einer Gehirnhälfte in das Krampfgeschehen einbezogen ist.) "Fokale" Anfälle sind beispielsweise: halbseitig ablaufender grand mal, einseitige Zuckungen, Versteifungen oder Gefühlsstörungen, psychomotorische (partial-komplexe) Anfälle.

einfacher Herdanfall

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Epilepsien
Ein epileptischer Anfall bedeutet noch nicht Epilepsie; ein solcher Anfall kann im Leben eines Menschen durchaus ein einmaliges Ereignis bleiben - z.B. als sog. Fieberkrampf im Kleinkindesalter, als Folge eines Stromschlags, als "Alkohol- und/oder Schlafentzugs-Anfall" nach einer durchzechten Nacht. In diesen Fällen ist der Anfall an eine bestimmte Situation gebunden, er wird durch eine bestimmte Gelegenheit provoziert - man spricht von sog. Gelegenheitsanfällen. Da nicht bei jedem Kleinkind ein Fieberschub und nicht bei jedem Jugendlichen übermäßiger Alkoholgenuss einen epileptischen Anfall auslöst, muss zu der jeweiligen Situation eine bestimmte Anfallneigung oder Veranlagung hinzukommen.

EEG mit Spikes-and-Waves bei Absene Erst wenn epileptische Anfälle bei einem Menschen immer wieder spontan (unprovoziert) auftreten, spricht man von einer Epilepsie.

Es gibt sehr unterschiedliche Epilepsien (Epilepsie-Krankheiten). Sie sind in erster Linie gekennzeichnet durch das Erscheinungsbild der epileptischen Anfälle, aber auch durch die Ursache, den Krankheitsverlauf, die Prognose (wahrscheinlicher Ausgang der Krankheit) und nicht zuletzt durch den EEG-Befund (EEG: Elektroencephalographie, "Hirnstromkurve").

All diese Faktoren können bei den einzelnen Epilepsieformen sehr unterschiedlich sein. Wie bei den epileptischen Anfällen unterscheidet man auch bei den Epilepsien generalisierte und fokale Formen - je nachdem, ob sie mit generalisierten oder fokalen Anfällen einhergehen.

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Ursachen
Die Ursachen der verschiedenen Epilepsien können sehr unterschiedlich sein. Die meisten Epilepsien sind - bezogen auf ihre Verursachung - Residual-Epilepsien , d.h. Epilepsien als "Überbleibsel", als "Rest" (Residuum) einer zurückliegenden, abgeschlossenen Hirnstörung.

Solche Residual- oder Defekt-Epilepsien können beispielsweise beruhen auf einer Infektionskrankheit während der Schwangerschaft (z.B. Röteln), auf einem Sauerstoffmangel während der Geburt, auf einer Hirn- oder Hirnhautentzündung im Kindesalter oder auf einer Gehirnquetschung durch einen Verkehrsunfall.

Unter einer Prozess-Epilepsie versteht man dagegen eine Epilepsie-Krankheit, die auf einer voranschreitenden (prozesshaft verlaufenden, nicht abgeschlossenen) Gehirnerkrankung beruht. Das wichtigste und häufigste Beispiel für eine solche Prozess-Epilepsie ist der Gehirntumor; aber auch Durchblutungsstörungen oder Stoffwechselerkrankungen können in ihrem Verlauf zu einer Epilepsie führen. Epilepsien, die Ausdruck (Zeichen, "Symptom") einer residualen oder prozesshaften Hirnstörung sind, nennt man auch symptomatische Epilepsien.

Epilepsien sind keine Erbkrankheiten, sie werden also nicht von einer auf die andere Generation vererbt. Trotzdem kann es in bestimmten Familien zu einer Krankheitshäufung kommen. Dies beruht darauf, dass - wie bei sehr vielen Krankheiten (z.B. Zuckerkrankheit oder Rheumatismus) - nicht die Krankheit selbst, sondern die Veranlagung zu ihr an die Nachkommenschaft weitergegeben wird. Irgendeine zusätzliche Störung (z.B. Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt, eine schwere Erkrankung, eine Kopfverletzung) kann dann die Rolle eines "Auslösers" spielen. (Allerdings gelingt es nicht immer, diesen Auslöser tatsächlich zu entdecken.) Eine solche Anfallkrankheit, die überwiegend durch eine genetische Veranlagung bedingt ist, nennt man genetische Epilepsie. Bei rund einem Drittel aller Epilepsien bleibt die Frage nach der Ursache auch heute noch unbeantwortet. Aus dem bisher Gesagten folgt, dass jeder Mensch in jedem Lebensalter an einer Epilepsie erkranken kann.

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Behandlung

Akutmaßnahmen: Akutmaßnahmen Was tun bei einem epileptischen Anfall?

Langzeittherapie:

Epileptische Anfälle und Epilepsien können heute sehr gut behandelt werden. Grundsätzlich ist eine Epilepsie heilbar. Vor dem Beginn einer Behandlung muss immer geprüft werden, ob die Ursache der Epilepsie beseitigt werden kann; in einem solchen Fall spricht man von einer kausalen Therapie (z.B. Operation eines Hirntumors, Beseitigung oder Linderung einer Stoffwechselstörung). In den meisten Fällen ist dies aber nicht möglich - entweder weil keine Ursache gefunden wird oder weil sie nicht beseitigt werden kann (z.B. Narbe, Fehlanlage des Gehirns, Veranlagung); bei der Behandlung solcher Epilepsien spricht man von symptomatischer Therapie.

Die "klassische" und auch heute noch bei weit über 90% aller Epilepsiekranken durchgeführte symptomatische Prognose bei medikamentöser Epilepsie-Therapie Therapie erfolgt durch anfallhemmende Medikamente (Anti-Epileptica). Sie müssen meist über viele Jahre eingenommen werden. Mit ihrer Hilfe kann bei knapp 60% der behandelten Patienten Anfallfreiheit, und bei weiteren 20% eine deutliche Besserung der Anfälle erzielt werden.
In manchen Fällen kann statt der medikamentösen eine chirurgische Behandlung erfolgreich sein; dies kommt aber nur bei fokalen Epilepsien und derzeit noch bei weniger als 5% aller Epilepsiekranken in Betracht.

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Auswirkungen
Epileptische Anfälle zerstören keine Gehirnzellen, die Intelligenz von Anfallkranken nimmt im Verlauf der Krankheit also nicht zwangsläufig ab. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt der sog. Status epilepticus großer Anfälle dar: darunter versteht man einen ungewöhnlich lang anhaltenden Grand-mal-Anfall, der 10 Minuten und länger (stundenlange Dauer ist möglich!) anhält. Im Rahmen eines solchen "Status" kann es tatsächlich zum Absterben von Hirnzellen kommen. Unter der modernen medikamentösen Therapie sind solche Grand-mal-Staten glücklicherweise selten geworden.

Zeigen anfallkranke Patienten psychische Auffälligkeiten (z.B. Verzögerung der geistigen Entwicklung, Verhaltens und/oder Sprachstörungen), so sind diese in aller Regel nicht auf die Epilepsie, sondern auf die die epileptischen Anfälle hervorrufende Hirnstörung zurückzuführen. Die Verträglichkeit der Antiepileptica ist in der Regel gut; in Ausnahmefällen können die Medikamente aber zu ernsten Nebenwirkungen und Beeinträchtigungen des Patienten führen; regelmäßige fachärztliche Überwachung der Therapie ist deshalb unerlässlich.

Nicht selten kommt es bei Menschen mit Epilepsie zu reaktiven Störungen. Die Notwendigkeit einer Krankheitsbewältigung, Zurückweisungen in Schule, Beruf und unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen, Benachteiligungen im Alltag (z.B. Sport, Führerschein, Bewerbungen) und nicht zuletzt Vorurteile der Mitmenschen (z.B. Verkennung der Epilepsie als Erb- und Geisteskrankheit) führen beim Patienten häufig zu seelischen Belastungen, die nicht selten schwerwiegender sind als die Epilepsie selbst. Bei einer Begleitung und Betreuung von Epilepsiekranken muss diese Problematik ganz besonders berücksichtigt werden.

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