Raum 4: Therapie

Behandlungsversuche in der Antike Behandlungsversuche in der Antike

  • Humoralpathologie
  • Diätetik

Behandlungsversuche im christlichen Mittelalter Behandlungsversuche im christlichen Mittelalter

Behandlungsversuche ab der Renaissancezeit Behandlungsversuche ab der Renaissancezeit

  • chemisch definierte Substanzen
  • Epilepsie-Chirurgie

Vitrine mit Apothekerutensilien
im Deutschen Epilepsiemuseum Kork.

Antike

Die Versuche, epileptische Anfälle und Epilepsien zu behandeln, reichen weit in die Vor- und Frühgeschichte der Menschheit zurück.

In jeder geschichtlichen Epoche waren Art und Weise der therapeutischen Bemühungen abhängig von den Vorstellungen, die man sich über die Ursache der Krankheit machte.

In der vor-hippokratischen Zeit, als man die "heilige Krankheit" für ein von den Göttern geschicktes Leiden hielt, waren Opfergaben, "Entsühnung", religiöse Übungen unter Anleitung von Priester-Ärzten (möglichst im Tempelbereich) als "Heilmittel" in Gebrauch.

In der hippokratischen Medizin, deren Vertreter von der natürlichen Ursache der Epilepsie überzeugt waren (Humoralpathologie: Säfte-Lehre), wurde versucht, die Behandlung auf eine natürliche Basis zu stellen. Fundament einer solchen Therapie war die Diätetik, also die geordnete, "vernünftige" Lebensweise. Diese diätetische Therapie stützte sich vor allem auf drei Säulen: Ernährungsvorschriften, Regulierung der Ausscheidungen und Heilgymnastik. Neben der Diätetik spielten "Medikamente", die im Wesentlichen aus Heilkräutern bestanden, nur eine untergeordnete Rolle.

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christliches Mittelalter

Im christlichen Mittelalter, als die Erkenntnis über die natürliche Ursache der Epilepsie wieder in Vergessenheit geriet und die Ursache des Leidens mit Teufeln, bösen Geistern und Dämonen in Verbindung gebracht wurde ("morbus daemonicus), änderte sich das "therapeutische Vorgehen" entsprechend: Gebete, Fastenübungen, Opfer, Wallfahrten und Exorzismen waren die Grundpfeiler der "Behandlung".

Viele Heilige wurden um unmittelbare Hilfe oder um Fürsprache bei Gott angefleht; zahlreiche geweihte Objekte (Devotionalien) fanden bei der Bekämpfung der Epilepsie Anwendung (Behandlung mit Heiligen und Heiligem: "Hagio-Therapie").

Nach der Pest war im Mittelalter die Epilepsie die Krankheit mit den meisten "zuständigen" Heiligen, deren wichtigster der heilige Valentin war (wahrscheinlich wegen des Gleichklangs des Namens: Fallen, Fallsucht, "fall net hin" - Valentin).

Fraisen-Kette (Froasket'n): Fraisenkette
Die Ketten waren mit verschiedenen Amuletten versehen (Reliquien, Schutzbriefe, Samenkörner, Wurzeln, Steine, Münzen) und wurden zum Schutz vor den Fraisen an die Wiege des Kindes gehängt. Andere Ketten bestanden aus Wirbelknochen der Kreuzotter oder Ringelnatter.

Neben den im christlichen Glauben wurzelnden Behandlungsbemühungen entwickelten sich zahlreiche abergläubische Heilpraktiken, die bis in die moderne Zeit hineinreichen: Zaubersprüche, Hexenkult, Fetischismus, Anwendung von Amuletten.

Das Mittelalter war aber auch die Zeit der "Phyto-Therapie", also der Behandlung mit Pflanzen und Pflanzenteilen.

Es gab in dieser Zeit kaum eine Pflanze, die nicht auch gegen den "fallenden Siechtag", also gegen die Epilepsie, eingesetzt wurde. Die wichtigsten "Phyto-Therapeutica" waren: Baldrian, Paeonie (Pfingstrose), Beifuß, Stechapfel, Bilsenkraut, Mistel, Tollkirsche, Digitalis, Pomeranze, Chinarinde.

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Viele historische und volkstümliche anti-epileptische "Behandlungsversuche" zeigen die Furcht, den Abscheu, aber auch die Hilflosigkeit, die über lange Zeit die Einstellung der Menschen zu dieser Krankheit bestimmten:

ungewöhnliche Epilesietherapie und Anfallprophylaxe des Tages:

Jedesmal, wenn Sie unsere Seite besuchen, zeigen wir Ihnen hier einen weiteren historischen Therapieversuch.
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Renaissancezeit bis heute

Im ausgehenden Mittelalter, in der Renaissance-Zeit, fanden zunehmend auch chemisch definierte Substanzen als "Fallsucht-Mittel" Verwendung. Zu den bedeutsamsten gehörten: Kupfer (das bereits in der Antike verwendet worden war), Zinkoxyd, Silbernitrat, Quecksilber, Wismut, Zinn.

Hirnschale und Gefäß für Bibergeil Bibergeil
Schon in der gräco-romanischen Antike wurde eine harzige Absonderung aus Duftdrüsen des Bibers (Kastor-Säcke) als Mittel gegen die "heilige Krankheit" eingesetzt: Castoreum, das Bibergeil. Bis ins 19. Jahrhundert war die Substanz als "Beruhigungs- und Fallsucht-Mittel" weit verbreitet und fehlte in keiner Apotheke.

Menschenschädel (Cranum humanum)
galt in manchen Epochen als hilfreiches Fallsuchtmittel: "Man schabe etwas von der Hirnschale eines Totenkopfes und dieses gebe man einige Monate hintereinander ein. Ist der Patient ein Mann, so muss der Schädel von einem Weibe herrühren, und umgekehrt." (Württembergische Volksmedizin)

Gefäß für Beifuß Beifuß (Artemisia vulgaris)
war in früheren Jahrhunderten das Zauberkraut schlechthin. Selbst in der Schulmedizin galt die Beifußwurzel bis ins 19. Jahrhundert als antiepileptisch wirksame Substanz.
Auch Absinth, zu dessen wesentlichen Bestandteilen Bitterstoffe aus den Beifuß-Blüten gehören, fand als Fallsuchtmittel Verwendung.


Es besteht heute kein Zweifel darüber, dass all diese pflanzlichen und metallischen "Medikamente" keinerlei Wirkung gegenüber epileptischen Anfällen aufwiesen. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die naturwissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse über die Epilepsie stetig zunahmen, wurden schließlich Medikamente entdeckt, die eine objektivierbare Wirkung gegen epileptische Anfälle aufwiesen. Die beiden ersten, noch heute eingesetzten Substanzen, die als "antiepileptisch wirksam" erkannt wurden, waren Brom (1857) und Phenobarbital (1912).

Medikamentenschachteln gängiger Antiepileptica


Heute stehen der Medizin etwa 20 chemische Substanzen zur Verfügung, die in Einzel- oder Kombinationstherapie mit großer Aussicht auf Erfolg gegen epileptische Anfälle eingesetzt werden können.


Mit der modernen medikamentösen Behandlung können heute knapp 60% aller Epilepsiekranken von ihren Anfällen befreit werden; in weiteren 20% gelingt eine deutliche Verbesserung des Leidens; nur bei einem Fünftel der Epilepsie-Patienten bringen die modernen Antiepileptica keinerlei Hilfe. Bei einem Teil dieser "therapieresistenten" Patienten kann aber die moderne Epilepsie-Chirurgie noch entscheidende Hilfe bringen.




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